Fragen zum Dokumentarfilm an die Filmemacherin Yola Grimm Das Thema "Suizid" ist immer mit Schuldgefühlen verbunden. Wie bist
Du in dem Dokumentarfilm "Bittere Tränen“ der Schuldfrage
nachgegangen?
Wenn sich ein Mensch, egal ob jung oder alt, das Leben nehmen will, dann
ist das besonders tragisch und automatisch kommen Schuldgefühle bei den
Überlebenden auf. Diese Schuldgefühle versperren aber den Zugang zu dem
Problemfeld, denn der Suizid ist keine Frage von Schuld oder Unschuld.
Erst wenn die Schuldgefühle aufgelöst werden können, wird der Weg frei, um
den wahren Ursachen auf den Grund zu gehen und nach dem „Warum hatte
dieser Mensch keine Chance zu leben?“ und „Was ist passiert, dass er/sie
sich das Leben nehmen wollte?“, zu fragen. Ich denke, es ist relevant,
nicht zu verdrängen, sondern dieses „Warum“ zu ermitteln, sich in die
Gedankenwelt des SuizidantInnen einzufühlen und daraus zu lernen. Was
wollte mir dieser Mensch über sein eigenes Leben und sein Umfeld
mitteilen. Gleich zur Tagesordnung überzugehen, wie es leider viel zu
häufig passiert, ist fatal. FamilentherapeutInnen gehen sogar soweit, daß
solche unbewältigten Verdrängungsmechanismen in den nächsten Generationen
wieder, noch verkorster als in der Generation zuvor, zurückkehren.
Im Film wird der
Begriff "Suizid" verwendet, der Begriff "Selbstmord" niemals, obwohl
doch das gleiche damit gemeint ist?
Das Wort Suizid kommt aus dem Lateinischen und bedeutet sich selbst töten.
Der Begriff Selbstmord ist insofern diskriminierend, weil er das Wort
„Mord“ beinhaltet. Wenn sich ein Mensch das Leben nimmt, so ist das, wenn
er alles abgewägt und bilanziert hat, seine eigene Entscheidung. Aber mit
Bittere Tränen möchte ich noch einen Schritt weiter gehen und aufzeigen,
welche bitteren Folgen der gewaltsame Verlust für die Angehörigen, Freunde
und Eltern hat.
Ist es denn überhaupt möglich
Suizide zu verhindern? Und hat nicht jeder Mensch das Recht, sich selbst
frei zu entscheiden?
Das sind zwei heikle Fragen, die beide eine moralische Komponente
enthalten. Ich bin der Ansicht, das jeder Mensch selbstverantwortlich
handeln kann. Aber in der Realität ist der „Frei“-Tod doch nicht so ganz
freiwillig. Das wird am Beispiel des Gefängnissuizides deutlich. Der
Mensch würde weiterleben, wenn er nicht eingesperrt wäre. Hier kann also
nicht mehr von Freiwilligkeit gesprochen werden. Außerdem sind viele
Menschen, die nach einem Suizidversuch wieder aufwachen, froh, das sie
diesen überlebt haben.
Besonders tragisch ist es, wenn junge Menschen sich das Leben nehmen, denn
sie hätten ja noch ein ganzes Leben vor sich gehabt. Ihre Suizidgründe
unterscheiden sich nicht von denen der Erwachsenen. Die Verzweiflung des
Menschen ist so stark, das sie zu einem sogenannten Tunnelblick führt. Das
Leiden an Sinn- und Hoffnungslosigkeit lassen die Welt nur noch finster
erscheinen.
Zu der ersten Frage, ob es möglich ist mit einem Dokumentarfilm Suizide zu
verhindern, so muss ich deutlich sagen, ja. Bittere Tränen wird von
Beratungs- und Hilfeeinrichtungen eingesetzt, denn, wenn es möglich sein
soll, dass Medien Suizide auslösen können, so kann es auch umgekehrt
möglich sein, Selbsttötungen durch Medien zu verhindern. Insgesamt sollten
wir mehr miteinander reden (auch konstruktiv streiten verbindet),
achtsamer, wacher und menschlicher miteinander umgehen.
Kannst Du
abschließend noch etwas zu der Filmmusik in „Bittere Tränen“ sagen?
Die Filmmusik wurde von Notwist, einer genialen Band aus Weilheim mit
Markus und Micha Acher sowie Martin Gretschmann, komponiert. „No encores“
und auch weitere Stücke sind von ihnen auf der blauen „Shrink“ Platte
veröffentlicht und passen sehr gut zu den Bildsequenzen. Die restlichen
Dub-Sequenzen wurden von Ihnen speziell für Bittere
Tränen komponiert.
Im Video gibt es ziemlich viele Bild/Musik-Passagen: das alte Haus von
Alex, das Tamagotchi von Stefan, die Therapietiere und -puppen, die
Zeichnungen von Marcel, die Ausschnitte aus den Familienfotos, sein
Zimmer, das verschlüsselte Album, die Schulhofpausensituation, der
Himbeerschwenk, die Fotos vom Marcel´s Grab, die Feuerwehrbilder, das
Zimmer und die Umgebung von Marcel, Stefan im Ultraball, Alex beim
Gesangsunterricht, das Intro und Extro mit dem Jahrmarkt, die mit dieser
Musik untermalt werden.
Die Filmmusik eignet sich sehr gut zu dem Suizidthema, dreht es sich
hierbei letztendlich doch auch um Liebe, Anerkennung und das Zulassen von
Gefühlen, schlicht um das Mensch sein an sich. Der Sound von Notwist ist
sehr warm und lebendig, also nicht überproduziert und das macht die Musik
so sympathisch. Außerdem, so traurig „No Encores“ auch klingt, Notwist
haben immer ein kleines Stück Hoffnung in ihrer Musik. Und das ist auch
das, was ich den BetrachterInnen von Bittere
Tränen mitgeben möchte.
*** Bittere Tränen
ist FSK (Freiwillige
Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) geprüft gem. JÖSchg § 6/7 und
freigegeben für Menschen ab 12 Jahren
Suizidprävention
Die Suizidgründe eines Jugendlichen unterscheiden sich nicht von denen
der Erwachsenen ...